Politische Kernbotschaften für eine bestmögliche Frühgeborenenversorgung in der 19. Legislaturperiode

Jährlich kommen ca. 65.000 Kinder vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche zur Welt. Damit ist jedes elfte Neugeborene ein Frühchen. Zu früh geborene Kinder und ihre Familien kämpfen mit viel-fältigen Herausforderungen und Belastungen, die den Alltag während der Akutphase in der Klinik und nach der Entlassung bestimmen.

Durch Änderungen und Ergänzungen bestehender Rahmenbedingungen und Regelungen können zu früh geborene Kinder und ihre Eltern in vielen Herausforderungen entlastet werden. Für eine bestmögliche Frühgeborenenversorgung und Unterstützung der betroffenen Familien setzt sich das Netzwerk Neonatologie in der 19. Legislaturperiode primär für folgende Veränderungen ein:

  • Nachteile beim Bezugszeitraum des Elterngeldes für Familien Frühgeborener beseitigen

Nach wie vor sind Eltern von Frühgeborenen bei den geltenden Regelungen zu Elterngeld und -zeit benachteiligt. Frühcheneltern verbringen bis zu drei Monate nach der Geburt zunächst in der Klinik, während Eltern Reifgeborener ihre Kinder 12 bzw. 14 Monate zu Hause betreuen können. Die Monate in der Klinik fehlen am Ende der Elterngeldzeit, und Frühcheneltern sind oftmals gezwungen, ihre Erwerbstätigkeit wieder aufzunehmen – obwohl aufgrund der Entwicklungsverzögerung der sensiblen Kleinkinder eine längere häusliche Betreuung, anstelle einer externen Kinderbetreuung, erforderlich wäre. Allein die rechnerische Betrachtung lässt unberücksichtigt, dass diese Kinder Entwicklungszeit nachholen müssen und das erste Lebensjahr nicht selten geprägt ist von vielen Nachsorgeuntersuchungen und Therapien. Um diese Benachteiligung zu beheben, bedarf es einer Ersatzleistung für Frühcheneltern, die ab dem errechneten Geburtstermin greift und den individuellen Entwicklungsstand des Kindes berücksichtigt.

  • Verbesserte Arbeitsbedingungen für hohe pädiatrische Pflegequalität garantieren

Um eine hohe Qualität in der neonatologischen Intensivkinderkrankenpflege langfristig sicherzustellen, ist eine Anpassung der Rahmenbedingungen zur Förderung der Attraktivität des Berufsfeldes erforderlich. Aktuell tragen Leistungsverdichtung und Personalknappheit dazu bei, dass Pflegefachkräfte in der Neonatologie bei gleicher oder weniger Zeit immer mehr leisten müssen. Dabei tragen insbesondere Pflegefachkräfte in der Neonatologie eine enorme Verantwortung für die spätere Entwicklung der Kinder mit. Das erfordert neben einer angemessenen Vergütung die Einhaltung der gesetzlich garantierten Regenerationszeit sowie die Möglichkeit der beruflichen Weiterbildung, die finanziell honoriert werden muss. Dringend erforderlich ist zudem eine Anhebung der Personalschlüssel für alle auf der neonatologischen und pädiatrischen Intensivstation zu versorgenden Kinder, für die bisher keine Vorgaben existieren. Das würde die Attraktivität des Pflegeberufs dahin-gehend steigern und somit das Abwandern von Pflegekräften in andere Berufe verhindern, dass Arbeitszeit flexibler gestaltet werden kann und Familie und Beruf mit einander vereinbar werden.

  • Auskömmliche Finanzierung von Kinderkliniken unabhängig von der Angliederung eines Perinatalzentrums sicherstellen 

Eine hohe Behandlungsqualität in der Neonatologie erfordert eine zeit- und personal-intensive Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Die dafür zur Verfügung stehenden DRG-Fallpauschalen sollten zweckgebunden in diesem Bereich eingesetzt werden, ohne die Behandlungsqualität weiterer pädiatrischer Versorgungseinheiten in Kinderkliniken zu gefährden. Die weiteren pädiatrischen Versorgungseinheiten in Kinderkliniken einschließlich deren im DRG-System nicht abbildbaren überproportional hohen Vorhaltekosten müssen auskömmlich gegenfinanziert sein.

  • Gleichberechtigten Zugang zu hochwertiger stationärer Frühgeborenenversorgung durch eine ausgewogene Verteilung spezialisierter Perinatalzentren ermöglichen

Eine qualitativ hochwertige stationäre Versorgung von Frühgeborenen muss für alle Familien in Deutschland gleichermaßen sichergestellt werden. Konkret bedarf es dafür einer ausgewogeneren Verteilung von Perinatalzentren (PNZ) der verschiedenen Versorgungsstufen. Das erfordert eine Änderung der Krankenhauslandschaft durch eine Zentralisierung der zurzeit überproportional vorhandenen hochspezialisierten PNZ Level 1-Kliniken. Nur so können notwendige Kompetenzen von Ärzten und Pflegeteams im routinierten Umgang mit einer verhältnismäßig kleinen Risiko-Gruppe der sehr kleinen und unreifen Frühgeborenen unter 1250 Gramm in ganz Deutschland gewährleistet werden.

  • Interdisziplinäre ambulante Versorgung und Kooperation durch die Unterstützung eines Lotsensystems intensivieren

Die Behandlung von Folgen einer Frühgeburt braucht eine individuell zugeschnittene Therapie, die alle beeinträchtigten gesundheitlichen sowie sozialen Entwicklungsbereiche einbezieht. Hierfür ist eine umfassende Beurteilung in interdisziplinärer Kooperation zwischen den verschiedenen beteiligten Akteuren aus dem Gesundheits- und Sozialsektor notwendig. Familien frühgeborener Kinder müssen in der Findung einer passgenauen und vollumfänglichen Betreuung eine verbesserte Unterstützung erhalten. Dafür sollte ein System an speziell dafür geschulten Lotsen etabliert werden, das die verschiedenen versorgungsrelevanten Akteure aus Gesundheits- und Sozialwesen miteinander vernetzt und den betroffenen Familien beratend und unterstützend zur Seite stehen.

  • Flächendeckenden Zugang zu sozialmedizinischer Nachsorge für alle Frühgeborenen im Bedarfsfall gewährleisten

Obwohl sozialmedizinische Nachsorge GKV-Regelleistung im Anschluss an eine stationäre Versorgung ist, gefährden erhebliche finanzielle Herausforderungen für Anbieter dieser auf den Zeitraum von 6 bis 12 Wochen im Anschluss an die Krankenhausbehandlung beschränkten Leistung eine bestmögliche Versorgung. Zudem schränkt die derzeit geltende „Bestimmung zu Voraussetzungen, Inhalt und Qualität der sozialmedizinischen Nachsorgemaßnahmen nach § 43 Abs. 2 SGB V“ des GKV-Spitzenverbandes den Zugang zu dieser Leistung ganz erheblich ein, was frühgeborene Kinder gerade wegen ihrer spezifischen Anforderungen benachteiligt. Um den notwendigen flächendeckenden Zugang zu sozialmedizinischer Nachsorge tatsächlich gewährleisten zu können, müssen außerdem die Vergütungssätze derart angepasst werden, dass sämtliche Kosten dieser Regelleistung inkl. Zeit für An- und Abfahrt für Anbieter sozialpädiatrischer Nachsorge gedeckt sind.

  • Regelmäßige entwicklungsneurologische Nachuntersuchungen bis mindestens zur Einschulung durch gesetzliche Voraussetzungen und flächendeckender Etablierung sozialpädiatrischer Einrichtungen ermöglichen

Insbesondere Defizite in der kognitiven Entwicklung und andere Störungen werden häufig nicht oder zu spät diagnostiziert, so dass damit gerade beim Eintritt in die Schule und in der Jugendzeit gravierende Probleme bei ehemaligen Frühgeborenen verbunden sind. Eine geregelte Nachbetreuung zumindest für Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1500 Gramm unterstützt die Entwicklung der Kinder und ist interdisziplinär ausgerichtet. Sie beinhaltet regelmäßige entwicklungsneurologische und -psychologische Nachuntersuchungen, angepasst an die individuellen Bedürfnisse des Kindes, der Eltern und der sozialen Umgebung. Die Überleitung in eine strukturierte entwicklungsneurologische, -diagnostische und ggf. therapeutische Betreuung in dafür spezialisierten Einrichtungen muss unmittelbar aus der akutstationären Behandlung heraus und mindestens bis zur Einschulung erfolgen. Hierfür müssen dringend die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen sowie ausreichend vorhandene sozialpädiatrische Einrichtungen etabliert werden, deren Leistungen mit kostendeckenden Sätzen vergütet werden.

Positionspapier des Netzwerks Neonatologie
PDF des Positionspapiers

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Elterngeldproblematik bei Frühgeburt
PDF der Infobroschüre des BV DfK zu Auswirkungen der Überschneidung von Mutterschaftsgeld- und Elterngeldansprüchen

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